Ausprobiert: Andaz Prague

Seien wir ehrlich: Bislang konnte man sich in Prag entscheiden zwischen klassischem Plüsch-Luxus und modernen Lifestyle-Hotels, die nicht unbedingt die höchsten Luxus-Ansprüche erfüllten. Das könnte sich seit dem 1. März geändert haben: Mit dem Andaz Prague verfolgt Hyatt seine Strategie, die Marke noch deutlicher im High-End-Segment zu positionieren. Ob das gelungen ist, testet ein bekennender Prag-Fan.

Ein Erlebnisbericht von LuxusInsider-Chefredakteurin Iris M. Köpke

Die Lage

­Überraschend luftig: Im traditionell eng bebauten Prag liegt das frisch eröffnete Andaz an einem kleinen, offenen Kopfsteinpflaster-Platz in der Neustadt, der gerade ganz neu gestaltet wurde. Was sich perfekt in die Umgebung einpasst, hat auch einen praktischen Zweck: Die Freifläche dient als privater Parkplatz für Hotelgäste. Das Hotel ist im ehemaligen "Zucker-Palast" untergebracht: Anfang des 20. Jahrhunderts residierte hier der Versicherungsverein der Zuckerindustrie. Danach folgten ein Dasein als Bankgebäude und jahrelanger Leerstand. Bis Hyatt loslegte.

Die Umgebung ist ruhig, von Touristenhorden keine Spur. Wer sich ins (zur Zeit sehr erträgliche und endlich wieder maskenfreie) Gewimmel stürzen möchte, geht gerade mal fünf Minuten zum Pulverturm, der den Beginn der Altstadt markiert. Zum Wenzelsplatz sind es sieben Minuten zu Fuß, zur berühmten Astronomischen Rathausuhr maximal elf – alles problemlos machbar.

Das Design

Erklärtes Ziel des Design-Teams war es, die tschechische DNA in jeden Winkel des Hauses zu holen. Mission accomplished: Sehr stringent dreht sich alles um die Mythen und Sagen des Landes, insbesondere um den Ritter Bruncvik und seinen Löwen-Gefährten sowie um Fürstin Libuše, die als Gründungsmutter von Prag gilt. Der Legende nach sah sie die Entstehung der Stadt in einer Vorhersehung.

Zudem gibt es Anspielungen auf die Umgebung, etwa Kleinigkeiten, die auf die Nähe zum jüdischen Viertel der Stadt oder auf die Vergangenheit des 1916 errichteten Gebäudes als Bank hinweisen. Ungewöhnlich: Das ausgeklügelte Designkonzept macht auch vor den fünf Event-Räumen nicht halt. Mein Anstarr-Favorit: Die unzähligen, mystisch von unten angestrahlten Keramikköpfe, die für die Episode stehen, als Ritter Bruncvik zur Verteidigung sein magisches Schwert zog und – swoosh! – mal eben sämtliche Feinde mit einem Streich köpfte. Wow.

Das Zimmer

Die regulären Zimmer sind in acht Kategorien unterteilt. Ich habe Glück und bekomme ein King Bed Premium, in das ich mich Hals über Kopf verliebe. Mit 35 Quadratmetern, richtig viel Tageslicht und tollen Farben (Dunkelblauer Samt! Honigfarbenes Holz!) trifft es schon mal grundsätzlich meinen Geschmack.

Aber Luxus wäre nicht Luxus, wenn es nicht um die Details gehen würde. Und da haben die kreativen Köpfe wirklich keine Mühen gescheut: Das große Löwen-Relief über dem Bett fällt natürlich als erstes auf. Dass auch das Tischbein mit einem Löwenkopf geschmückt ist, sieht man erst, wenn man sich hinlegt – hier wurde also nicht nur auf Augenhöhe mitgedacht. Selbst die Füße der Nachttische sind, na klar: Löwenpranken. Die Nachttischlampe mit dem verspielt-knubbeligen "Golem" ist richtig knuffig. Sie soll der ernsten Sage ein bisschen ihren Schrecken nehmen. Auch am Badezimmer-Spiegel hängt ein kleiner Golem, ein weiterer versteckt sich hinter dem Leder-Papierkorb und "trägt" den Ganzkörperspiegel der Garderobe atlasgleich auf seinen Schultern.

Apropos Garderobe: Diese ist mit entzückenden, ins Holz geritzten Blumenranken geschmückt. Die Vorhänge an den Fenstern werden von güldenen Händen gehalten, und ein Wandpaneel im Badezimmer nimmt mit seiner Tresor-Optik Bezug auf die Bank-Vergangenheit des Gebäudes. Man weiß wirklich kaum, wo man zuerst hinschauen soll – wobei stets das Kunststück gelingt, dass der Raum nicht überladen wirkt.

In Sachen Technik staune ich nicht schlecht: Neben dem Bett sind USB-C-Anschlüsse – sehe ich zum ersten Mal in einem Hotel. Direkt daneben geht's in das kleine Badezimmer. Es ist offen, heller Marmor trifft hier auf mattgoldene Armaturen und edle Kupfernuancen. Hallelujah: Es ist auch ausreichend Ablagefläche für Kulturtasche & Co. vorhanden. Einziger Minuspunkt (und das werde ich in so vielen Artikeln erwähnen, bis diese Unsitte ein Ende hat): Die Toilette ist nur durch eine – immerhin braun eingefärbte – Glastür abgetrennt, geräusch- und geruchsdurchlässige Schlitze inklusive. Liebe Designer: Nicht alles, was schick aussieht, macht auch Sinn. Egal, in wie viele Hotels Ihr das auch einbaut.

Die Suiten

24 der insgesamt 176 Hotelzimmer sind Suiten. Für die zweite Nacht ziehe ich um in eine Deluxe Suite. Erster Eindruck: Viel, viel Platz! Auch hier ranken die Blümchen an der Garderobe, abgesehen von einer farbenfrohen Skulptur entdecke ich allerdings keine weiteren Spielereien. Was ich aber entdecke, entlockt mir einen ganz und gar undamenhaften Freudenquietscher: Die Suite hat einen kleinen Wintergarten! Ein rundum verglaster Erker mit Designer-Couch, Sessel und Sukkulenten-Arrangement. Man reiche mir ein gutes Buch und ein Glas Rotwein!

Das ist natürlich Quatsch: Man kann seinen Blick gar nicht von der Aussicht abwenden. Hübsch restaurierte Häuserzeilen, die Tram, in der Ferne eine Kirchturmspitze. Und ein unglaubliches Licht zu Sonnenauf- und -untergang! (Stellen Sie sich an dieser Stelle unentwegtes Kamera-Klicken vor.) Die Farbgebung der Suiten ist etwas seriöser als in den Zimmern: Dunkles Tannengrün und grüne Gemälde sollen an Ritter Bruncviks Abenteuer im Wald erinnern, entsprechend ist alles Holz in dunklen Nuancen gehalten. Bei den Möbeln knutscht Jugendstil mit Art Déco. Im Bad interessiert mich nicht mal mehr die gläserne Toilettentür: Es gibt eine Badewanne! Ich tauch dann mal ab.

Die Kulinarik

Bei meiner Ankunft am Nachmittag befinde ich mich im typischen 15-Uhr-Journalisten-Zustand: Unterkoffeiniert, ungefrühstückt und selbstredend auch ohne Lunch, da ich die Mittagszeit im Flieger verbracht habe. Da kommt die "Parlor" genannte Lounge im Hotel gerade recht: Das kleine Paradies in Pinktönen liegt zwischen der Hotelbar Mez und der Rezeption. Moderne Samtsessel unter stylish-schlichten Lampen, kleine Tischchen und in der Mitte künstliche Zweige mit rosafarbenen Apfelbaumblüten, die den Baldachin für kleine Köstlichkeiten bilden: Hier steht für die Gäste jeden Nachmittag kostenloses Mini-Gebäck bereit. Einen Moment lang wähne ich mich im mondänen Londoner Stadtteil Fitzrovia mit seiner hübschen Café-Kultur. Die Croissants sind so köstlich, dass ich einen französischen Pastry Chef vermute. Knapp daneben: Sämtliches Blätterteig-Gebäck stammt aus einer nahen Backstube – musste aber am strengen Gaumen von Executive Chef Eric Pellen aus Frankreich vorbei.

Das Frühstück im Restaurant Zem (tschechisch für "Erde", weswegen das Design von der Agrarwirtschaft inspiriert wurde) am nächsten Morgen skippe ich entgegen meiner Gewohnheit nicht, denn mir wurden die Eggs Benedict wärmstens ans Herz gelegt. Serviert auf den typisch böhmischen Brotknödeln anstelle von English Muffins, mit dünn geschnittenem tschechischen Schinken und die Eier auf den Punkt gegart, ohne dass das Eiweiß noch glibbert: Passt. Dass es keinen O-Saft gibt, sondern nur Grapefruit, Apfel und Apfel-Karotte kommt zumindest bei den beiden Geschäftsmännern am Tisch nebenan nicht so gut an. Für Deutsche wichtig zu wissen: Die Butter ist salzig (wir befinden uns in einer amerikanischen Hotelmarke) und macht sich unter Marmelade nicht so gut. Dafür ist das hausgebackene Körnerbrot sensationell! Selbiges gilt übrigens auch für den Service: Stets lächelnd, fix wie nix und deutlich mehr auf Zack als ich um diese Uhrzeit.

Zum Dinner sollte man dem Restaurant Zem einen erneuten Besuch abstatten. Aber nicht ohne zuvor einen Aperitif an der Hotelbar Mez einzunehmen: Was Bar-Chef Daniel sich alles hat einfallen lassen, um ungewöhnliche Signature Cocktails zu kreieren (Stichwort: blauer Mais) und Cocktail-Klassikern ein gewisses Extra zu verleihen, ist so spannend, dass Sie Ihren Kunden einen Plausch mit ihm wärmstens ans Herz legen sollten. Ich empfehle selbstredend den Cosmopolitan mit Rauchblase.

Jetzt aber ab ins Zem! Die Karte ist – halten Sie sich fest! – eine Kombination aus japanischer Izakaya-Küche und tschechischer Avantgarde Cuisine. Aha. Was schräg klingt, schmeckt ziemlich gut: Ich teste mich durch Beef Tartar mit roter Beete und Wolfsbarsch-Carpacchio mit Trüffel-Vinaigrette und Jalapeños, probiere Svíčková – geschmortes Rindfleisch im hauchdünnem Kloßteig-Mäntelchen mit Wurzelgemüse- und Cranberry-Sauce (Foto) – und (ja, Sie lesen richtig) Becherovka-Sorbet mit Apfelnote. Das Herz berührt dann schlussendlich aber nicht die Küchenkunst, sondern Kellner Petr, dessen Fröhlichkeit, Herzlichkeit und Leidenschaft fürs Gäste beglücken das Dinner zu einem Erlebnis werden lassen, das noch lange nachklingt.

Das Spa

Im Untergeschoss befindet sich das Spa. Es wird extern durch die lokale Beauty-Marke Klara Rott betrieben, deren Bio-Amenities auch in den Zimmern stehen. Gäste haben selbstverständlich kostenlos Zugang. Das Spa-Menü ist klein, aber fein: Neben den vier Signature Treatments gibt es Massagen, Gesichtsbehandlungen und die üblichen Beauty-Angebote. Ich entscheide mich für eine Hot Candle Massage. Und glaube, dass es sich um eine stinknormale Massage bei brennender Duftkerze handelt. Um es kurz zu machen: Nö.

Spa-Therapeutin Dita bringt mich in einen der beiden Behandlungsräume. Dort brennt tatsächlich eine Kerze – und zu meinem Entsetzen taucht sie ihren Finger direkt neben der Flamme in das flüssige Wachs und hält ihn mir unter die Nase: "Smells like coconut and lemon!". Nee, riecht einfach nur nach verbranntem Docht. Die will doch jetzt nicht… ? Sie will: In den nächsten 50 Minuten werde ich mit flüssigem Wachs massiert ("Very nourishing!") – und entspanne mich zusehends. Entgegen meiner Befürchtungen ist es weder unangenehm heiß noch klebrig, im Gegenteil: Die warme Substanz ist etwas dickflüssiger als Massage-Öl, zieht aber wunderbar ein und macht babyweiche Haut. Ditas fähige Hände tun ein Übriges. Jetzt rieche ich auch die Kokos-Duftnote. Dass ich hinterher direkt hinauskomplimentiert werde anstatt in den Relaxraum gebracht zu werden ist schade, aber wurscht: Ich bin gerade zu entspannt, um Abzüge in der B-Note zu geben.

Der Service

Zuerst fällt auf, dass das gesamte Team sehr jung und leger-schick gekleidet ist, was einem Lifestyle-Hotel natürlich schon mal gut zu Gesicht steht. Die Jugend wirkt sich aber nicht negativ auf die Professionalität aus, im Gegenteil: Jeder Mitarbeiter ist sehr engagiert, wirkt hervorragend geschult und nimmt sich immer Zeit für ein Lächeln.

Und: Gerade in den F&B Outlets ist die Begeisterung für die eigenen Produkte ebenso hoch wie die für zwischenmenschliche Interaktion – zack, Gesprächsstoff.

Zu meiner Freude entdecke ich auf dem Weg zum Frühstück in der Lobby (Foto) dezent versteckt einen Geldautomaten, auch hier blitzt also die US-Kultur durch. Als ich auf ihn zugehe, kommt die nette Rezeptionistin geflitzt: "Miss Iris, do you need an ATM?" – und wispert mir verschwörerisch zu, dass der gleich um die Ecke deutlich niedrigere Gebühren nimmt. Letzte (unabsichtliche) Prüfung: Als ich nach dem Lunch ins Hotel zurückkehre und feststelle, dass ich vergessen habe, das Do Not Disturb an meinem Zimmer auszustellen, betrete ich wenig überraschend ein ungemachtes Zimmer. Schön blöd, Frau Köpke. Dann muss es wieder schnell gehen, denn der Nachmittagsausflug beginnt. Nicht mal Zeit, kurz an der Rezeption zu fragen, ob trotz der vorgerückten Stunde jemand Zeit hätte, das Chaos zu beseitigen… Immerhin schaffe ich es diesmal, das DND zu deaktivieren. Bei meiner Rückkehr um 17 Uhr ist das Zimmer picobello. Chapeau, das schafft definitiv nicht jedes Fünf-Sterne-Haus!

Die Aktivitäten

Für die ersten Entertainment-Möglichkeiten hat man es als Gast nicht weit: Im Erdgeschoss des Andaz Prague reihen sich drei kleine Lounges (Foto) mit sehr unterschiedlichem Interieur aneinander. Sie sind den Themen Architektur, Kunsthandwerk und Literatur gewidmet und bietet Raum für regelmäßige Pop-up-Events und für lokale Künstler, die sie eine Zeitlang als Mini-Atelier benutzen dürfen und dafür den Gästen Rede und Antwort stehen. Das Programm für exklusive Erlebnisse außerhalb des Hotels wird zur Zeit noch erstellt, ein erster Blick ist aber schon vielversprechend: Da ist etwa die Zusammenarbeit mit einem der renommiertesten Fotografen Prags geplant, der die Gäste mit zu seinen ganz persönlichen Lieblingsplätzen der Stadt nimmt – fernab des Mainstreams. Coole Fotos gibt's natürlich auch, Ehrensache.

Auch sehr empfehlenswert: Private Führungen durch Prags historische Bibliotheken. Als vielgereister Bücherwurm mit Uni-Abschluss in Literaturwissenschaft habe ich ja schon einige dieser Uralt-Büchersäle gesehen, aber beim Anblick des Klementinums verschlägt es mir doch die Sprache. Liebevoll geschnitzte und mit Blattgold verzierte Regale, historische Globen, ein riesiges Deckengemälde und der überwältigende Geruch von sehr, sehr altem Wissen. Das Beeindruckendste daran: Alles ist original, nicht einmal die Farben des Deckengemäldes wurden je aufgefrischt. Doppelt Glück gehabt: Im Krieg beschädigten weder Feuer noch Bomben noch hochmütige Nazis die Barockbibliothek, und danach blieb der Saal 70 Jahre lang ungenutzt, bevor er im Jahr 2000 wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Perfekte Bedingungen für antike Stücke, die Zeiten zu überdauern. Im Anschluss geht es noch hoch auf den Astronomischen Turm, der gerade an sonnigen Frühlingstagen einen Wahnsinnsausblick über ganz Prag bietet.

Fazit

Lage gut, Materialien hochwertig, Design durchdacht, Kulinarik top und toller, herzlicher Service ­– wer diesem Lifestyle-Hotel das Luxusniveau abspricht, könnte sich Splitter einfangen, denn er ist auf dem Holzweg. Hier muss man schon ganz gezielt suchen, um etwas zu meckern zu haben. Und selbst dann sind es nur Kleinigkeiten, die wohl eher dem Touristiker ins Auge fallen als einem Gast. Nicht einmal wartet man vergeblich auf ein Lächeln, während des Aufenthalts werden proaktiv Tipps gegeben und Wünsche erfüllt, von denen man noch gar nicht wusste, dass man sie hatte: Das Andaz Prague kann deutlich mehr als schick sein – und ist dennoch ein Fest für Design-Fans.

Kontakt für Reise-Profis: Adam Szabo, Director of Sales